Rund um Bacharach - Ein Blog von Friederike Schikora

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Bacharacher Experten glänzen in wichtiger Studie!

Bacharacher Experten glänzen in wichtiger Studie!

Es geht um Peter Keber,  Andreas und Fritz Stüber, Peter Jost und Willy Praml. Der Dipl.-Sozialwissenschaftler DAVIDE BROCCHI war im Mai im Rheintal unterwegs auf der “Suche nach neuen Entwicklungspfaden für die Region”. Sein Auftraggeber: der “Zweckverband Welterbe oberes Mittelrheintal. “Ausbeute” der Interviews sind hoch interessante, lesenswerte Biografien.  

In der gesprächsbasierten Studie glänzt BACHARACH mit einem Sonderstatus. Ein Vorteil für die Interiew-Partner, denn herausragende Aufmerksamkeit dürfte ihnen gewiss ein.

H I E R   A U S Z Ü G E   A U S   D E R   S T U D I E  (Fotos Schikora)  

Peter Keber,

Bacharach. Der Rechtsanwalt ist seit 1981 Vorsitzender des Bauvereins Wernerkapelle Bacharach e.V..

Als Bürger prägt er die Geschichte der Kleinstadt seit 40 Jahren stark mit: Wandel durch Kultur – Kultur im Wandel Neue Entwicklungspfade für die Region Oberes Mittelrheintal 20 „Ich kümmere mich seit 1979 um die Wernerkapelle.

Wernerkapelle – d a s Bausymbol der Rheinromantik

 

Wir haben damals erkannt, dass sie zusammenzubrechen drohte. Eigentümer ist die Katholische Kirche, sie wollte die Kapelle fallen lassen. Die Ausrede: ‚Wir haben kein Geld ‘. So gründeten wir eine Bürgerinitiative für den Erhalt und haben 4.000 Menschen weltweit angeschrieben, die diese Kapelle kennen.

Diese Kapelle hat eine besondere Geschichte, denn im Mittelalter wurde in dieser Gegend der kleine Knabe Werner ermordet, dafür wurde die Judengemeinde schnell schuldig gesprochen, es fanden Pogrome gegen die Juden statt, viele wurden ermordet, bis nach Köln. Doch heute wissen wir, dass die Juden keine Schuld am Mord trugen, die Geschichte wurde frei erfunden, um Intoleranz und Judenhass zu verbreiten. Wer die Wernerkapelle fallen lassen wollte, wollte auch diese Geschichte vergessen machen.

Wir wollten genau das Gegenteil, nach dem Motto: Wir müssen nicht nur die Steine da oben restaurieren, wir müssen auch die Köpfe der Leute restaurieren. Wir müssen mit dieser Judengeschichte aufräumen.

 

zieht Besucher aus der ganzen Welt an: filigranes Maßwerk, gotische Fenster

Papst Johannes XXIII war ein großer Vermittler zwischen Christen und Juden, von dem habe ich mir 1980-1981 ein entsprechendes Gebet genommen. Wir wollten, dass dieser Text in Stein gemeißelt an der Wernerkapelle steht. Das hat die Kirche damals jedoch abgelehnt. ‚Wenn ihr darauf besteht, wird da oben kein Stein angerührt!‘, hieß es. Die Arbeiten für die Restaurierung der Kapelle haben 20 Jahre lang gedauert. Jeder, der heute die Kapelle besucht, findet dort auch das Gebet von Johannes XXIII, in Stein gemeißelt – inzwischen aber mit Einverständnis der Kirche.

der Gebets-Text von Papst Johannes Paul XXIII ist, auch in andere Sprachen übersetzt, verfügbar unter  Bacharach.de / Stadtinformationen / Stadtrundgang

Im Laufe der Jahre hat die Kirche bemerkt, dass der Bauverein ernsthafte und zuverlässige Arbeit leistet […]. Die Geschichte ist der Ausgangspunkt für unsere kulturelle Arbeit hier: Wir wollen sie verarbeiten und die Menschen gegen Intoleranz und für Toleranz sensibilisieren. Es dürfen keine falschen Legenden mehr erzählt werden, um Hass zu schüren. Wir haben es alle zusammen geschafft.“ Peter Keber lebt in Bacharach, seitdem er 20 ist. Aus seinem Haus hatte er immer die Kapelle vor den Augen.

Kapelle: Reste hoher Steinmetzkunst an uralten Sandstein-Säulen

 

Kebers Idee: das Theater Praml und denRabbi von Bacherach” von Frankfurt nach Bacharach zu holen

Sein Beruf als Anwalt war auch bei Konflikten mit mächtigen Institutionen hilfreich. 2007 initiierte er die Vortragsreihe „Toleranz vor Augen – Das Forum”, dabei wurde eine künstlerische Installation an die Wernerkapelle angebracht: „Das rote Fenster“ von Karl-Martin Hartmann, Wiesbaden (Hartmann 2008). Von Keber stammte auch die Idee, das Theater Willy Praml und seinen „Rabbi von Bacharach“ von Frankfurt nach Bacharach zu bringen.

Als Rechtsanwalt hat Keber wichtige Prozesse für die Region begleitet, zum Beispiel jenen der zur Anerkennung als Welterbe geführt hat. Das Forum Mittelrheintal wurde 2002 von ihm abgewickelt und als ehrenamtliches Element in den zwischenzeitlich durch die Kommunen gegründeten Zweckverband eingegliedert. Diese “persönlichen Verbindungen waren immer wieder sehr hilfreich, um die nötige Unterstützung für seine Projektideen in Bacharach zu bekommen.

Andreas Stüber,

Bacharach Er ist Spitzenkoch und Inhaber des Rhein-Hotels Bacharach. Das Hotel ist ein Familienunternehmen, Stüber selbst ist in diesen Räumen geboren und aufgewachsen. Nach dem Schulabschluss machte er eine Kochlehre im Allgäu. Danach, während er in der Sommersaison im Hotel der Eltern kochte, reiste er in den Wintermonaten durch die Welt, bis Australien und Neuseeland.

Heute tritt er als Koch auch im Fernsehen und beim Radiosender SWR1 auf.

Öko-Wein und regionale Köstlichkeiten vom Spitzen-Koch in Stüber`s Restaurant auf der alten Stadtmauer

Mittlerweile hat das Hotel fast zehn Monate im Jahr geöffnet. „Durch eigene Veranstaltungen im März, November und Dezember wie Küchenpartys, Mittelrhein-Momente und intensive Gästebetreuung machen wir einen Besuch bei uns attraktiv. Aber für Januar und Februar haben wir noch kein Konzept gefunden, um die Gäste ins Mittelrheintal zu locken.“ (zitiert in Zimmer 2018).

Bei Stübers: speisen mit Traumblick über den Rhein (auf der Stadtmauer)

Stüber sieht in Kunst und Kultur nicht nur eine Strategie, um Touristen nach Bacharach zu bringen; mit dem Bruder Fritz ist er selbst seit Jahrzehnten in der Kulturszene der Kleinstadt engagiert, zum Beispiel beim Festival „An den Ufern der Poesie“. Weitere Informationen: https://rhein-hotel-bacharach.de

PETER JOST

Bacharach. Er ist Winzer, mittlerweile im Ruhestand. Der Betrieb wird heute von der Tochter Cecilia geführt, in sechster Generation, denn das Weingut Toni Jost ist seit 1831 im Besitz der Familie.

“Bacharacher Hahn”, bekannte Steillage am Mittelrhein (Weingut Jost) – vom Schiff aus fotografiert

Im Sinne eines engen Kulturbegriffes versteht sich Peter Jost nicht als Kulturexperte: „Ich gehe nur ab und zu ins Theater und höre Musik, aber ich bin kein Spezialist.“

Im Sinne eines erweiterten Kulturbegriffes ist er jedoch sehr aktiv und verfügt über ein breites Wissen über den traditionellen Weinbau. Sein Betrieb bekennt sich fest zum Dreiklang „Riesling, Rhein und Romantik“ und wirbt damit weltweit.

Die Tradition verbindet sich hier mit Nachhaltigkeit: „Die Weinberge sind unser wertvollstes Kapital, mit dem wir sorgsam wirtschaften müssen. Im Bewusstsein dieser Verantwortung fördern wir die natürliche Bodenfruchtbarkeit und reduzieren wir konsequent unsere Erträge auf das Maß, das der Boden bereit ist, ohne intensive Düngung,selbst zu geben. Seit Jahrhunderten wachsen in unseren Weinbergen Reben in Monokultur. Wandel durch Kultur – Kultur im Wandel Neue Entwicklungspfade für die Region Oberes Mittelrheintal 18 Damit der Boden dies ohne Ermüdungserscheinungen verkraftet, betreiben wir gezielte Humuswirtschaft, fördern wir die Artenvielfalt im Weinberg und damit die der Nützlinge und verzichten wir auf das Spritzen gegen tierische Schädlinge.“ (www.tonijost.de)

Weingut Toni Jost, “Hahnenhof”, alter Familienbesitz in der Oberstraße

Auf dem Weingut bekommen Gäste einen Einblick in die Weintradition der Region. Als das Interview am 5. April 2019 in Bacharach geführt wurde, saßen im Raum weitere Winzer aus Bacharach: Im Bereich Weinbau konkurrieren lokale Betriebe nicht unbedingt miteinander, sie kooperieren.

Fritz Stüber,

Bacharach Er ist Künstler, Ökowinzer, dazu Vorsitzender des Verschönerungsvereins Bacharach 1873 e.V. Stüber hat eine ungewöhnliche Biografie: „In den 1980er Jahren gründete er eines der ersten ökologischen Weingüter am Mittelrhein (‚Edelfaul‘), kämpfte für die Friedensbewegung, benannte eine Tochter nach der Frau von Michail Gorbatschow und machte sich später einen Namen als bildender Künstler“ (Zimmer 2018b).

Fritz Stüber ist Mit-Organisator der Biennale “an den Ufern der Poesie” (hier Wernerkapelle, einer der Biennale-Schauplätze)

Parallel übte er seinen Beruf weiter aus: Polizist beim Landeskriminalamt. „Ich habe ein Studium bei der Polizei gemacht und 1985 stellte ich fest, dass viele Kollegen Alkoholprobleme hatten: keiner kümmerte sich jedoch darum. Ich habe dann selbst eine Ausbildung als Suchtkrankenhelfer gemacht und angefangen, mit Kollegen daran zu arbeiten. Auf Grund meiner Initiative wurde dieses Angebot innerhalb der Polizei vom Ministerium institutionalisiert. Es folgte eine Ausbildung als Sozialtherapeut, so dass ich später bei der Polizei sowohl als Kriminalpolizist als auch als Therapeut tätig war. In dem ganzen Prozess habe ich gemerkt, dass es mir um grundsätzlichere Sachen geht, also die Frage: Was bedeutet Menschsein?

Dann bin ich hier in Bacharach durch Zufall auf diese Geschichte der Loreley gestoßen.“ Wandel durch Kultur – Kultur im Wandel Neue Entwicklungspfade für die Region Oberes Mittelrheintal 25 Und so gelangt Stüber an das Thema Rheinromantik.

die Loreley, Wiederbegegnung mit Folgen

Er pflegt eine enge Verbindung zu Peter Keber, als junger Mensch beteiligte er sich an der Rettung der Wernerkapelle. Aktiv war er auch bei der Vortragsreihe „Toleranz vor Augen – Das Forum” 2007 und 2009 sowie beim Festival „An den Ufern der Poesie“ 2017.

Als Vorsitzender des Verschönerungsvereins Bacharach setzt er auf Nachhaltigkeit in der Stadtentwicklung. „‘Mit den Füßen regional, mit dem Kopf global, mit dem Herzen universal‘, lautet sein Credo. Damit plädiert er für eine Erweiterung des Begriffs Verschönerung in Zeiten der zunehmenden Verrohung.“ (Werner 2018)

Willy Praml,

Frankfurt am Main Er wurde am 31. August 1941 in Landshut geboren, ist Theatermacher und Regisseur, Mitgründer und Leiter des gleichnamigen Theaters in Frankfurt am Main.

Praml: seit 2017  Regie der Biennale – “an den Ufern der Poesie” (Bacharach und Umgebung)

Praml hat Germanistik, Geschichte und Geografie in München studiert, für viele Jahre praktizierte er Theaterarbeit mit Laien, zum Beispiel an der staatlichen Hessischen Jugendbildungsstätte Dietzenbach. Seine Zielgruppe bestand vor allem aus Arbeiterjugendlichen und Jugendlichen aus Gastarbeiter-Familien (z.B. das Frankfurter Teatro Siciliano). Mit selbstproduzierten Stücken trat er an deutschen Bühnen u. a. in Frankfurt und in Berlin auf.

Praml verfügt über eine langjährige Erfahrung auch mit künstlerischer Arbeit in ländlichen Regionen, von 1979 bis 1990 entwickelte er neue Theaterformen in hessischen Dörfern, zum Beispiel in der Gemeinde Brechen bei Limburg an der Lahn. Dabei entstanden Theaterproduktionen mit teilweise über 100 Mitwirkenden. „Ich habe schon an vielen Projekten gearbeitet, in der Provinz. Da gab es einen Bürgermeister, einen Lehrer, einen Apotheker… und sonst gar nichts, nur Leute aus der Bevölkerung. Kirchenchor, einen Männergesangverein, Leute, die privat etwas gemacht haben.

Rosenstraße: historischer Schauplatz von Heinrich Heines “Der Rabbi von Bacherach” 

Damit habe ich in den 1980ern ein riesiges Projekt aufgebaut, mit Millionen von Zuschüssen von der Bundesregierung, zum Thema Zukunft der Regionen. Eine ehemals bäuerliche Region, mittlerweile ist es ein Schlafdorf. Die Leute gehen zur Höchst AG nach Frankfurt oder nach Köln arbeiten, wo es eben Industrie gibt. Wir haben durch Erinnerungsarbeit wieder eine emotionale Beziehung zum Ort herstellen wollen. Ich war von Ingmar Bergman aus Stockholm inspiriert. Er hat sich mit dem Untergang der Bergindustrie auseinandergesetzt und die Schauspieler aufgefordert, in die betroffene Region zu gehen, um dort mit den Leuten zu arbeiten.

winkelige Enge im altem Judenviertel

Ich habe viel auch von den französischen Sozialisten gelernt, die damals den Leuten, die im gesellschaftlichen Diskurs keine Rolle spielten, eine Stimme geben wollten. Sie wollten die Geschichte von Arbeitern und Bauern zum Mittelpunkt der Hochkultur machen. Keine Sozialarbeit-Theaterstücke machen, sondern professionell produziertes Theater, bei dem Künstler mit den Fabrikarbeitern und Bauern zusammenarbeiten.

Solche inspirierenden Vorbilder haben uns geholfen, am Mittelrhein wieder anzuknüpfen.“ Das freie Theater Willy Praml gründete er 1991 mit Michael Weber (s.u.), seit 2000 spielt er mit diesem in der Frankfurter Naxoshalle. Zur Philosophie des Theaters sagt der Regisseur: „Wir haben einen hohen künstlerischen Anspruch, verbunden mit einem politischen. Wir verstehen Theater als künstlerischen, aber auch sozialen Impulsgeber, als politisches und gesellschaftliches Projekt. Kunst, Kultur und Gesellschaft.“ 2011 wurde Willy Praml mit dem Binding-Kulturpreis der Stadt Frankfurt ausgezeichnet.

Seit 2017 veranstaltet sein Theater mit der Stadt Bacharach die Biennale „An den Ufern der Poesie“.

Die Initiative ging von Peter Keber aus, der die Theateraufführung vom „Rabbi von Bacharach“ in Frankfurt erlebte: „Es ist die Bestätigung dafür, was wir dort seit 30 Jahren machen, sagte Keber zu uns.“ Das erste Festival im Jahr 2017 war ein voller Erfolg, im August 2019 findet das zweite Festival statt.

Weitere Informationen: http://theaterwillypraml.de

 

I N F O S   Z U M   A U T O R   D E R   S T U D I E : 

DAVIDE BROCCHI,

geboren 1969 in Rimini (Italien), zog 1992 nach Deutschland, lebt in Köln und ist als Dipl.-Sozialwissenschaftler freiberuflich tätig. Seine Schwerpunkte in Theorie und Praxis sind die soziale und die kulturelle Dimension der Nachhaltigkeit, die Bildung unkonventioneller Bündnisse sowie die sozial-ökologische Transformation als partizipativer Prozess im Lokalen.

Unter anderem initiierte er das „Festival der Kulturen für eine andere Welt“ (2003, Düsseldorf), die bundesweiten Netzwerke Kulturattac(2003) und Cultura21 (2005), das Bündnis Agora Köln sowie den jährlich stattfindenden „Tag des guten Lebens: Kölner Sonntag der Nachhaltigkeit“ (2012). Zur Zeit ist er Co-Sprecher von „Gutes Leben Berlin – Bündnis der Kieze“ und begleitet die bundesweite ERDFEST-Initiative wissenschaftlich.

Neben Sozialwissenschaften studierte er Politik, Psychologie und Philosophie, unter anderem bei Prof. Umberto Eco an der Universität Bologna. Zu seinen Publikationen gehören „Urbane Transformation. Zum guten Leben in der eigenen Stadt“ (2017) sowie „Nachhaltigkeit und soziale Ungleichheit. Warum es keine Nachhaltigkeit ohne soziale Gerechtigkeit geben kann“ (2019).

Links für Studie und homepage:

https://davidebrocchi.eu/veroeffentlichungen/  –  (siehe “Studien und Berichte”)

https://davidebrocchi.eu/

 

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