Rund um Bacharach - Ein Blog von Friederike Schikora

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Heimat ist, wo Efeu über alte Mauern kriecht

Heimat ist, wo Efeu über alte Mauern kriecht

(Klar doch: korrekt heißt es  d e r  Efeu. Aber bei uns sagt man d a s  Efeu, o k.?)

Wo das Efeu über alte Mauern kriecht, lebt jene zauberhafte Stimmung erst so richtig auf, die jährlich zahllose Touristen in das Tal der Loreley lockt. Die Rheinromantik heute profitiert von diesem einmaligen Bauchgefühl, das die Träume fliegen lässt, obgleich hier doch das Abschiednehmen großes Thema ist.

Aber so ist das: Ein Epoche hoher Blüte liegt in Trümmern, doch ein Lied geht auf die Reise “Warum ist es am Rhein so schön ….” Es lebe der Widerspruch.

 

 

Was ist Rheinromantik?

Schließlich weiß heutzutage kaum noch Jemand, was Rheinromantik wirklich ist. Woher kommt sie?, wer hat sie gemacht?, lebt sie noch oder ist sie schon tot? Und manch einer will es erst gar nicht wissen aus der profitorientierten Sorge heraus, jemand könnte beweisen wollen, dass die „Rüdesheimer Drosselgass“ der klassischen Rheinromantik die Faust aufs Auge haut. Beispielsweise.

 

auf den Punkt gebracht von Friedrich G. Paff, Bacharacher Schriftsteller (Aufgang zur Stadtmauer)

 

Oder es rückt ein Experte vom Bacharacher Geschichtsverein an und vermeldet mit bedeutungsschwerer Mine: „Ist bergseitiger Teil der alten Wehrbefestigung, die Mauer, erbaut 1546, zerstört im Dreißigjährigen und Pfälzischen Erbfolge-Krieg und dann verfallen, verwittert, eingestürzt, Punkt”. Wie unheimatlich. Das Efeu auf unserer alten Stadtmauer würde gekränkt in sich zusammenfallen.

 

Mauersims mit Efeu zu Füßen der Werner-Kapelle

 

Das Efeu ist nicht irgendein profanes Grünzeug im Wildwuchs der Natur. Es ist das Urgewächs unser aller Kinderjahre und hat in unseren Herzen eine Spur wärmender Erinnerung gelegt, die nie verweht.

Ich bin zwischen Ruinen groß geworden,

über die das Efeu kroch. Die stummelkurzen Mauerstümpfe von Wernerkapelle, Wehrbefestigung und Stadttürmen waren unser Spielplatz. Wir Kinder drückten unsere Gesichter an die sonnenwarmen Steine aus Schieferbruch und Sandstein und spürten, wie das Herz der Geschichte schlug, als wir noch nicht wissen konnten, was das ist, Geschichte.

 

Efeu auf sonnenwarmen Schiefersteinen

 

Mehr noch: Wer mit von Efeu überwucherten Ruinen auf wächst und im altersweisen Schatten der Idylle Flieder klaut und Stöckchen schnitzt, ist später auch zu alten Menschen gut. Ich bin zu alten Menschen gut. Alle meine Schulkamerad/innen sind zu alten Menschen gut.

 

blickdicht überwuchert: die talseitige Stützmauer von Burg Stahleck

 

Die weltabgewandte Stille, die auf einer Mauerkrone unter Efeu ihre Zeit verdämmert, ihr frommes Strahlen ohne Sinn und Zweck, dämpft ein wenig unser fremdeln mit der Endlichkeit des Seins und man spürt etwas von jenem Frieden, den der Abschied von dem Lauf der Dinge bringt. Sein Lächeln ist voller Wärme und Substanz – und wirkt lange nach!

Zwergen-Wieschen

Dies auch: Als Kind bin ich oft auf jenen bergseitigen Teil der  Wehrbefestigung geklettert, dessen Mauerende am Südausgang der Stadt, vom Efeu fast erstickt, aus dem blickdichten Sträucherwald des Kühlbergs in den Himmel ragte.

Seine Spitze weitete sich zu einem kleinen Rondell. Dort konnte man auf einem blitzgescheiten Zwergen-Wieschen richtig Picknick machen, Sprudel trinken, mitgebrachten Kuchen essen und dem Ernst der Welt was pupsen.

 

Zwergen-Wieschen auf der Stadtmauer

 

Im Gras flitzte die Eidechse, Schmetterlinge tanzten in der Sonne und vom Rhein herauf tuckerten die Schiffsmotoren. Alles zusammen klang wie „Heimat macht glücklich“. Ich war reicher als Bill Gates.

Später nicht mehr so. Jahrelang überhaupt nicht. Da hatte ich vergessen, dass ich Heimat habe. Aber auf Gran Canaria, als ich einmal sehr krank und sehr einsam war und vor Angst und Heimweh fast verging, da kroch plötzlich jene zeitverträumte Kinderwiese auf dem alten Mauerstummel aus dem Nebel der  Erinnerung und schwebte mir tagelang vor der Nase. Ihr Anblick riss mich wieder hoch!

Wer Heimat hat, wo Efeu auf alten Mauern seine immergrüne Spur zieht, kann nicht wirklich untergehen. Danke Efeu.

 

Heimat ist, wo Efeu über alte Mauern kriecht (Treppenaufgang zur Wernerkapelle)

 

Bleibt noch die Frage:

Wie eigentlich riecht Efeu?

Schwer zu sagen. Sein Geruch scheint wetterfühlig wie ein altes Weib. Wenn es lange nicht geregnet hat, verliert er nahezu die Kontenance. Dann müffelt sein knochentrockenes Blätterrauschen ernüchternd erdverhaftet nach Straßenschuh und Ackerboden.

 

Efeu-Teppich: Aufgang zur Burg Stahleck

 

Fällt jedoch Regen, wirft sich das Immergrün geruchsmäßig mächtig in die Brust wie das Fell von unserem Dackel nach seinem Sturz in den Münzbach. Und eine Duft-Mixtur aus Sommerregen, Efeu und verwitterndem Gestein kann überwältigend sentimental machen. Sie kommt wie aus der Tiefe geströmt, packt Dich bei den Schultern, redet Dir gut zu und tief im Herzen dämmert Dir, dass Heimat eine starke Wurzel ist.

 

 

 

 

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